Das Mädchen von der Bahnhofstrasse

Seit 57 Jahren sind wir nun verheiratet, meine Madeleine (Häseli, 81) und ich (Häsu, 79). Wenn man bedenkt, dass meine Frau damals, als wir uns kennen lernten, von allen Seiten gewarnt wurde: das wird gar nichts; der ist nicht treu; auf einen Musiker ist kein Verlass usw; dann ist es schon bemerkenswert, dass wir noch zusammen und nach wie vor glücklich verheiratet sind. Zugegeben, es gab auch unschöne Momente, die ich voll auf meine Kappe nehmen muss.

 

Wie war das vor 60 Jahren an der Bahnhofstrasse? Ich sah "Mädi" zum ersten Mal an einem strahlenden Sommermorgen, als sie mir vom Bahnhof her entgegen kam. Da wo heute der Aldi steht, begegnete ich (17) einer Engelsgestalt. Sie war sonnengebräunt mit einem himmlischen Lächeln. Ich wusste instinktiv: Davon hatte ich schon immer geträumt. Doch wie sollte ich mit ihr ins Gespräch kommen? Sie war offensichtlich auf dem Weg zur Arbeit wie ich, nur in entgegengesetzter Richtung. Ich musste auf den Bahnhof und sie kam gerade von dort. Wenn wir uns kreuzten hiess das für mich: Ich verpasste den Zug wie schon so oft und musste dann mit dem Velo, quasi dem Zug hinterher, zur Arbeit fahren. 

  

Es gab aber auch Tage, an welchen ich rechtzeitig am Bahnhof war. Dann sah ich sie aussteigen während ich einstieg. Es musste also auch möglich sein, die Begegnung umzukehren: Z.B. am Feierabend. Und richtig, ich beob-achtete, dass sie abends in den Zug 

 Bahnhof Gerlafingen um 1962

einstieg, den  ich gerade verliess. So blieb ich eines Abends im Zug sitzen und fand sie dann allein in einem Abteil vor. Sie erteilte mir zwar eine ordentliche Abfuhr, aber immerhin erfuhr ich ihren Arbeitsort, was mir später nützlich sein sollte. 

 

Das Schicksal schlug hart zu: Ich verlor meine Stelle und fand Arbeit im Welschland. Somit war der Traum, sie wieder zu sehen, für lange Zeit ausgeträumt. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Und man kann auch Glück haben, insbesondere in der Liebe. An einem Wochenende erblickte ich in der Menschenmenge - wieder auf einem Bahnhof - zwei braune Augen, die ich schon ein Leben lang zu kennen glaubte. Beide drehten sich kurz zum Anderen um, zögerten kurz, trauten sich jedoch nicht, stehen zu bleiben. Dies war der Moment, als ich mir sagte: "Es muss jetzt etwas geschehen"! Ich kannte ihren Arbeitsort, so nach dem Motto: Ich weiss wo dein Briefkasten wohnt! Der Rest ist geschenkt.

 

Am nächsten Tag, es war ein Samstag, besuchte ich ihren Arbeitsort. "Mädi" arbeitete als Damencoifeuse. Da gab es aber auch eine Herrenabteilung. Ich liess mir kurz vor Feierabend die Haare schneiden und wartete danach vor dem Geschäft. Everardo, der Kollege von Mädi und Herrencoiffeur, hatte sie natürlich schon vorgewarnt. Doch diesmal gab es kein Entkommen. Wir verbrachten den Abend zusammen und den ganzen folgenden Sonntag. Ab diesem Moment waren wir ein Paar. Dass wir es heute nach vollen 60 Jahren noch sind, ist das Verdienst meiner starken Magdalena, die immer an mich glaubte und auch in schwierigen Momenten die Zuversicht bewahrte. Sie kümmerte sich um das Wohl der Familie und umsorgte sowohl mich als auch die beiden Kinder Andrea und Markus liebevoll. Ich dagegen war für den Unterhalt zuständig wobei Mädi auch in der Klavierwerkstatt kräftig mithalf, insbesondere als die Kinder grösser wurden. Durch meine vielen Auftritte war ich viel unterwegs. Aber es fehlte uns an nichts und wir konnten uns einen gewissen Wohlstand leisten. 

  

Extrem schöne Erlebnisse hatten wir am Neuenburgersee mit unseren Booten, auf denen wir fast alle Ferien und die allermeisten Wochenenden während 40 Jahren verbrachten. In unserem nächsten Leben - das haben wir uns vorgenommen - möchten wir unsere Freizeit in den Bergen geniessen. Nun sind wir ein altes Ehepaar, unsere Kinder sind erwachsen und selbst glücklich verheiratet. Bald feiern wir "60 Jahre Hansruedi und Mädi" sofern uns die Gesundheit nicht im Stich lässt. Noch mehr Lebensqualität wäre "kitschig". Wir wünschten, allen Menschen würde es so gut gehen wie es uns ergangen ist und hoffentlich noch weiter ergehen wird. 

   

                                                                                   Madeleine und Hansruedi

 

"Der Song"

Ich habe diese Liebesgeschichte in einem Mundart-Song bearbeitet.  Er heisst:  "Dr Ängu vo dr Bahnhofschtross" und ist auf meinem Youtube Kanal sowie auf dieser Homepage aufgeschaltet. Viel Spass!

Dr Ängu vo dr Bahnhofschtross

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