Der Sturm von Neuenburg

Auf unserem Nostalgiereisli passieren wir Neuchatel. Da kommt mir ein Erlebnis hoch: Ich habe unsere Jacht an zwei dicken Pfählen im Jachthafen von Neuenburg fest gemacht. Es herrscht sauschlechtes Wetter. Wir wollen dort übernachten. Das Heck ist nach Westen gerichtet. Von dieser Richtung kommt bald heftiger Regen, der gegen die Schiebetüre peitscht. Leider gibt es dort seit dem Bau des Schiffes eine undichte Stelle. Schon wird der Boden bedenklich nass. Ich sage zu Mädi: Wir müssen das Schiff in die Windrichtung drehen und neu festmachen. Gesagt getan, denken wir. Wir sind bass erstaunt, als wir feststellen müssen, dass es nicht möglich ist, ein Tau über den Pfosten zu werfen. Wind und Regen peitschen Mädi derart ins Gesicht, dass sie überhaupt nichts sehen kann. Ich fahre mit Vollgas der zwei 150 PS-Dieselmotoren auf den Pfosten zu, aber ich will ihn ja nicht rammen. Wenn ich Gas wegnehme wird die Jacht sofort vom Pfosten weg getrieben. Die Zeit reicht Mädi nicht aus zum Festmachen und so unternehmen wir Versuch um Versuch, während fast einer Stunde. Es ist unterdessen Mitternacht und die Hotelgäste stehen an ihren Zimmerfenstern und fragen sich wahrscheinlich, was für Anfänger da am Werk sind. Es gelingt uns nicht, das 25 Tonnen schwere Schiff fest zu machen. Dabei wäre es sehr einfach gewesen, wie ich im Nachhinein überlegte:

  

Mit Motorkraft kommt man gegen starken Wind nur dann an, wenn man das Boot auch fahren lassen kann, nicht aber wenn man es in Schwebung halten möchte. Mit einem verlängerten Tau hätte man das Boot sich selbst in den Wind drehen lassen und es später bei Nachlassen des starken Windes neu befestigen können. Solche Manöver haben wir oft gemacht aber in der Hektik kam mir die einfachste Möglichkeit nicht in den Sinn. Statt dessen entschloss ich mich, Neuchatel zu verlassen und den Heimathafen Portalban anzulaufen. Als ich auf die erste Welle traf, hatte ich das Gefühl, ich stehe in einem Lift, der mit überhöhter Geschwindigkeit nach unten saust bis der Bug eintaucht und das halbe Schiff überflutet. Ich wurde - so sagt Magdalena später - weiss im Gesicht. Nach drei Wellen dachte ich ganz kurz an ein Umkehren. Aber nicht lange. Ich stellte mir vor, was in der Zeit passiert wo das Schiff parallel zu den Monsterwellen steht. Ich glaube nicht, dass unsere Jacht kentern würde, aber das Risiko schien mir zu gross, ich wusste nicht wie das Schiff reagiert hätte. Nach einigen Wellen gewöhnten wir uns an die Situation und ein bischen Sicherheit kehrte zurück. Ich stellte die Vorauslinie des Radars auf den Hafen von Chevroux ein. Ich schätzte, dass ich mit dieser Peilung, zusammen mit der Abdrifft, ungefähr Portalban erreichen müsste.

 

Meine Rechnung ging auf. Um halb 3 Uhr morgens erreichten wir den Heimathafen. Unterdessen hatte der Sturm - es war der stärkste in unseren 35 Jahren Bootssport - wesentlich an Kraft verloren und wir waren auch nicht mehr so stark der Krängung und der Abtrift unterworfen. Viele werden denken: Ja ja, Seemansgarn! Ich aber sage: Unterschätzt den Neuenburger-see nicht bei Weststurm. Die Wellen bauen sich von Yverdon bis Neuenburg in direkter Linie derart auf, dass man buchstäblich Berge vor sich sieht. Ein anderer, heftiger Wind ist der Joran, der aus dem Val de Travers quer über die Breitseite des Sees fegt. Da sind die Wellen auch heftig aber weniger hoch und mit engeren Wellentälern. Ich war so aufgeregt, dass ich nicht in die Koje konnte. Ich befürchtete einen Scherbenhaufen in den Geschirrschränken. Wir machten Inventar. Zwei Teller waren zerbrochen und am Salontisch war ein Bein abgebrochen. Ich holte Holzleim und Schraubzwingen aus dem Motoren-raum und reparierte noch vor dem Schlafengehen das Möbelstück. So konnte ich mich langsam beruhigen. HRJ

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